Functional Freeze: Überlebst du nur oder lebst du schon?

Functional Freeze: Überlebst du nur oder lebst du schon?

Überleben ist wichtig, keine Frage. Aber was, wenn dein Nervensystem permanent den Eindruck hat, dich schützen zu müssen? Oder nie begriffen hat, dass eine Bedrohung vorbei ist?

Viele Fluchttiere können Stress einfach abschütteln, diesen Mechanismus besitzen wir aber nicht automatisch. Das Drama dabei: Die Flucht- oder Kampfenergie bleibt im Freeze aktiviert UND wird zugleich unterdrückt – das bedeutet Höchstleistungen für dein Nervensystem. Weil nichts davon abfließen kann.

Du bleibst innerlich auf Hab-Acht-Stellung und bist zugleich immobilisiert. Das kann nach einer lebensbedrohlichen Situation passieren oder durch länger anhaltende komplexe Belastungen. Wie sie beispielsweise aus toxischen Beziehungen, beruflichen Stress, Mobbing oder frühkindlichen Bindungstraumata resultieren. Es gibt viele Auslöser. Womöglich dauern Belastungen schon zu lange oder es gab einen Auslöser, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Lass uns zunächst verstehen, was hier passiert. Meine vierteilige Serie hier im Blog dreht sich damit rund um Impulse, die dich in deine Lebendigkeit zurückholen.

Anzeichen von Functional Freeze

Bleiben wir im Freeze hängen, erlebst du alles nur gedimmt. Keine Höhen, keine Tiefe. Im Funktionieren bist du gut!

Leider sieht keiner mehr, wie viel Not in dir aktiviert ist.

Manchmal ahnst du, dass dir etwas nicht gut tut, aber dir fehlt die Energie oder klare Einschätzung, daran etwas zu verändern. Du funktionierst (oft bestens!), aber wie auf Autopilot. Das kann für jeden unterschiedlich stark sein. Je länger du das schon erlebst, umso normaler erscheint es dir. Ein Leben wie unter einer Glasglocke.

Typische Symptome

… umfassen dein Gefühlsleben, deinen Körper, Gedanken und dein Handeln, beispielsweise:

  • Du fühlst dich gelähmt und ohnmächtig, funktionierst aber zugleich weiter. Dir fehlt Motivation und oftmals eine lebendige Emotionalität. Alles ist wie gedämpft, ein bisschen flach. Zugleich erscheint dir alles ganz normal.
  • Dein Körper zeigt womöglich schon länger Zeichen von Erschöpfung, unspezifische Schmerzen, Schwere, Trägheit, Unverträglichkeiten.
  • Deine Gedanken kreisen um immer dieselben Themen, ohne je eine konstruktive Lösung zu finden. Womöglich fällt es dir schwer, dich zu konzentrieren. Aber deinen Alltag schaffst du stoisch.
  • Du neigst zu Entscheidungsschwierigkeiten oder Prokastination: Womöglich fühlst du dich unruhig, getrieben oder unter Druck, kommst aber zugleich nicht ins (proaktive) Handeln

Zugleich geht alles seinen Gang, viele sind sogar hochgradig funktional in Job und/oder Familie.

Von außen sieht alles gut aus …

Aber darunter nagt ein Zweifel. Oder du merkst, dass du Entscheidungen vertagst, unangenehme Situationen hinnimmst, in Gedankenkreiseln versinkst – und doch nie recht den Impuls für eine Änderung einleitest. Vielleicht hast du auch unspezifische Symptome wie Erschöpfung oder Schmerzen.

Aber du machst weiter …

Das Erschreckende daran: Du bleibst in Situationen, die dir gar nicht gut tun. Denn die Energie für Kampf oder Flucht bleibt im Functional Freeze unterdrückt.

Du machst einfach immer weiter …

Vielleicht geht es dir wie mir zuvor und du bewältigst jede Aufgabe mit Bravour, aber für die schönen Dinge im Leben fehlt dir der Elan. Ich sank für Wochen nur ermattet auf mein Sofa. Mir fehlte Sinn und ein verlockender Horizont.

Wofür soll das gut sein?

Sei versichert, dass all das eine Reaktion deines Nervensystems ist, um dich zu schützen. Es will dein Überleben sichern. Das Dimmen deiner Energie hat (oder hatte!) also einen Auslöser, aber es kann sein, dass du in diesem Zustand hängengeblieben bist. Deshalb nennt man es Functional Freeze.

Du magst dich aktuell ohnmächtig fühlen, Änderungen zu initiieren, aber es gibt Wege zurück zu mehr Lebendigkeit und Licht. Schauen wir uns an, wie!

Der zentrale Schlüssel zur Änderung ist Sicherheit

Wer im Funktionieren gefangen ist, beurteilt seinen Alltag aus dem Survival Modus heraus. Du erlebst Dinge als bedrohlich, die es nicht sein müssten. Und dir steht nicht deine volle Reaktionsfähigkeit zur Verfügung! Das verzerrt deine Möglichkeiten enorm. Und lässt dich an dir und deinem Einfluss zweifeln.

Im Survival Modus bist du innerlich aktiviert – und zugleich gedimmt. Wie ein verschrecktes Reh im Scheinwerferlicht. Jetzt stell dir vor, dass du so vermutlich schon lange deinen Alltag bewältigst. Wahrscheinlich gut …

Was für eine Leistung! Und was für eine Anstrengung!

Du bist nicht falsch, du bist nur eingefroren! Ich habe mich lange geschämt, weil ich mir einfach nicht selbst zu helfen wusste, im Kreis drehte und doch keine Ausweg fand …

Wichtig ist jetzt, dich SICHER zu fühlen.

Echte Sicherheit, aber vor allem gefühlte! Denn dein Nervensystem ist schneller als unserer Verstand – und redet nix schön! Wenn dein Chef in regelmäßiger Gewohnheit die Richtung und Anforderungen an dich wechselt oder deine alternde Mutter an deinen Nerven nagt, dann kannst du dir das eine Weile schön reden. Aber dein Nervensystem erlebt all dies als Stress! Wie lange machst du schon brav weiter? Wo liegen deine Belastungen?

Ich bin lange um einen Ausweg gekreist und habe ihn nicht gefunden. Erst als verschiedene Faktoren zusammen kamen, ich mich aus Sackgassen befreien konnte, kam die Energie zurück, konnte ich Hilfe annehmen, nötige Grenzen setzen und tiefer liegende Dramen angehen.

Im Survival Modus selbst kannst du nicht heilen. Hier überlebst du nur. Erst darfst du Sicherheit und Stabilität finden, dann dein Licht wiederentdecken und strahlen lassen.

Flüchten braucht kein hehres Ziel

Wenn’s für dich gefährlich wird, lauf! So wäre der gesunde Impuls. Erinnerst du dich an den Satz, dass im Freeze deine Flucht- oder Kampfenergie unterdrückt wird? Freeze wird von unserem Nervensystem aktiviert, wenn Kämpfen oder Flüchten unmöglich erscheinen. Ein Aufgeben deiner Aktivität, um im Erstarren Heil zu finden. Diese Immobilisierung soll dich unangreifbar machen. Leider ein Bumerang-Effekt, wenn du permanent in einer Situation steckst, die dich bis auf Äußerste belastet. Denn dann erholst du dich nie – und deine Stress- oder Erschöpfungssymptome werden nur noch schlimmer.

Von mir selbst kenne ich (die klug klingende Ausrede), ich müsse erst wissen, wo ich hin will, um aktiv zu werden. Heute sage ich: Bullshit! Wenn es dir dort, wo du JETZT bist, nicht gut geht, dann hau da ab! Bring dich aus der Gefahrenzone! Tank erstmal neue Energie, um dich DANACH auf die Suche nach einem besseren Morgen zu machen.

Aber erstmal musst du da weg! Oder kämpfen! Jedenfalls wäre das eine sinnvolle Reaktion. Erkennen, welche Belastungen akut sind und diesen begegnen. Aber die Frage ist vielschichtiger zu betrachten:

  • Frag dich: Was du erduldest du aktuell oder schon länger?
  • Frag dich, ob Ausharren wirklich eine kluge Wahl ist!
  • Frag dich, warum du belastende Situationen bisher noch nicht beendet hast …
  • Erscheint die Alternative womöglich ebenfalls gefährlich? Dann wäre das durchaus verständlich …

Bleiben oder gehen?

Die Frage ist leider nicht so einfach zu beantworten, wie das für Außenstehende erscheint. Wenn es dir nicht gut geht, fehlt oft die nötige Energie, um grundlegende Änderungen einzuleiten. Wir werden damit ungewollt zu unseren eigenen Kerkermeistern. Gedimmt, um uns zu schützen. Und zugleich zu schwach, um gesund für dich einzutreten. Wir funktionieren aufgrund von fehlenden und vor allem verlässlich erscheinenden Alternativen. Dann lieber das bekannte Drama fortsetzen … denkt ein Teil in uns.

Fragen, die dich für einen Ausweg oder erste Änderungen sensibilisieren können

  1. Wen oder was erträgst du, obwohl es dich stresst? Denke an Menschen, Aufgaben, Orte oder Verabredungen
  2. Welche wiederkehrenden Ereignisse in deinem Alltag kosten dich viel Energie oder Nerven?
  3. Was würdest du liebend gern beenden oder aus deinem Leben eliminieren, wenn du bloß wüsstest wie?
  4. Welche Entscheidungen oder Klärungsgespräche schiebst du auf?
  5. Um welche Themen kreist du, ohne je einer Lösung näher zu kommen?
  6. Wobei haben dir noch so viele Klärungsversuche bislang nicht weitergeholfen?
  7. Was sehnst du, ohne viel Hoffnung auf Besserung?

Zunächst geben dir ehrliche Antworten auf diese Fragen einen Hinweis darauf, wie (schlimm) es um dich steht. Klarheit entlastet, Leugnen verlängert dein Leid.

Wenn du dich körperlich sehr erschöpft fühlst, kann es Sinn machen, erst mehr Energie zu finden, bevor du grundsätzliche Themen angehst. Um dich nicht zu überfordern. Such dir dazu auch ärztliche oder therapeutische Unterstützung, wenn nötig. Umgekehrt kann es nötig sein, Belastungen erst zu verringern, damit du überhaupt aufatmen kannst.

  • Was sagt dir deine Intuition, was du gerade brauchst?
  • Was hast du bisher versucht und mit welchem Ergebnis?

Dich zu wehren, setzt Kraft voraus!

Und den Glauben daran, dich tatsächlich durchsetzen zu können. Wer nicht ans Gewinnen können glaubt, flüchtet oder erträgt die Situation – schweigend oder jammernd. Könntest du betroffen sein? Machst du brav weiter, obwohl dir dein Leben aktuell nicht behagt?

Wir lernen früh in unserer Kindheit, womit wir rechnen können, was erlaubt oder verpönt oder gar geächtet ist in deinem Elternhaus. Und diese Taktik begleitet uns meist länger, als uns lieb ist. Durftest du NEIN sagen ohne Sanktionen befürchten zu müssen? … sei es Strafe, Bloßstellen oder Liebesentzug?

Wenn du im Funktionieren feststeckst, hat ein Teil in dir den Glauben daran verloren, dass du etwas für dich bewegen kannst. Im Erstarren hofft dieser Teil, dass die Bedrohung vorübergehen wird. Aber was, wenn die Belastungen anhalten? Unser modernes Leben stellt viele Herausforderungen, die mit einem bedrohlichen Angriff eines Säbelzahntigers nur noch wenig gemeinsam haben.

Bleibt dein Nervensystem im Freeze erstarrt, fährt dein komplettes System runter. Darunter brodelte es jedoch, weil die Aktivierung für Kampf oder Flucht vorher stattfand. Doch womöglich spürst du weder Wut noch einen Impuls, dich zu wehren.

Wenn Erholung gefährlich erscheint

Functional Freeze packt dich in Watte. Alles wirkt ein bisschen gedämpft, wenig wirkt arg schlimm und es kann vorkommen, dass nichts dich stärker aufregt. Denn starke Gefühle werden im Freeze ebenfalls gedimmt.

Alles geht normal seinen Gang, solange du schön brav weiter funktionierst.

Wenn du jedoch inne hältst und (nach langer Zeit vielleicht erstmals) zur Ruhe kommst, brechen all die zuvor gedämmten Gefühle wieder auf. Das kann Unruhe, Wut, Angst (oder gar Panik) sein. Nicht so schön! Und womöglich schwer auszuhalten nach einer langen Weile unter der Glasglocke. Fluchtgedanken können sich einstellen, ganz nach dem Motto “Bloß weg hier!” oder “Das halte ich nicht aus!”.

Es kann passieren, dass dein Nervensystem gleich wieder dicht macht und du zurück in die Aktivität flüchtest: Lieber schnell weiter arbeiten oder irgendetwas machen, sonst wird´s hier zu ungemütlich! Es interpretiert diese Gefühle als Gefahr.

Doch verwechsel das nicht! Du erlebst diesen Fortschritt vielleicht als Rückschritt! »Hilfe, so kenne ich mich ja gar nicht!« … und fängst von dir aus an, die Erholung zu meiden. Doch in diesem Fall sind die intensiven Gefühle ein Zeichen von Heilung. In der Erholung fühlst du dich erstmals sicher genug, sie zu spüren. Diese Gefühle können alt sein, auch wenn du auf aktuelle Ereignisse reagierst. Also lass dich ruhig ein bisschen unruhig, ängstlich oder ärgerlich sein.

Gewöhn dich am besten schrittweise daran. Und lerne deine Gefühle zu halten. Es beruhigt sich auch wieder. Sag dir, dass du jetzt sicher bist! Und vertraue darauf, dass sich eine neue Balance einstellt, wenn du dir erlaubst, die Stille, Ruhe und Entspannung mehr zuzulassen – und als wohltuend zu empfinden.

Bleib dran und begleite mich in den nächsten Wochen, um mehr zu erfahren. Speicher dir die Beiträge, empfehle sie weiter und folge mir gern!

Deine Silke