Sechs Klischees über Introvertierte – und die Wahrheit dahinter

Sechs Klischees über Introvertierte – und die Wahrheit dahinter

Hier räume ich mit Klischees auf, die dir den neutralen (oder gar befreienden) Blick auf Introversion verstellen. Wider die Ammenmärchen!

1 | Introvertierte sind schüchtern

Von wegen! Wer gern mal schweigt, ist noch lange nicht ängstlich. Schüchternheit ist erlernt. Wer Angst vor Kontakten hat, meidet sie. Oftmals gab es hier hässliche Hänseleien in frühen Jahren oder einschneidende Erlebnisse mit Kritik. Dabei hilft meist nur eine Therapie.

Introversion dagegen ist angeboren und hat damit tun, woraus wir Energie schöpfen. Der Fokus von Intros liegt innen. Gedanken und Gefühle füllen uns bestens aus, auch ohne Anregung von außen. Viele Kontakte strengen Introvertierte an, vor allem wenn sie oberflächlich sind.

Unterschätzt man dich, vor allem beruflich? Dann überlege dir, welche Informationen für andere wichtig wären und auf welchen Wegen du dies zeigen kannst! Ein ruhiges Gespräch zu zweit oder eine kluge Mail liegen dir oft mehr als ein wuseliges Teamtreffen.

2 | Introvertierte sind still

Manchmal … Vielleicht ist das Thema nur gerade nix für sie, vor allem beim Small Talk. Introvertierte denken gern (intensiv) nach, bevor sie sprechen. Worte wie „Kenn ich … “ oder „Das finde ich auch … “ erscheinen vielen Introvertierten überflüssig.

Darum halten sie sich in Gesprächen gern so lange zurück, bis es sich ergiebigeren Themen zuwendet. Wir bleiben also freiwillig im Hintergrund, statt nur über Nichtigkeiten zu palavern! Doch wenn ein Thema uns packt, sind wir selten zu bremsen.

Auf ein Wort! Manchmal ist es hilfreicher, früher das Eis zu brechen, statt etwas ungemein Kluges sagen zu wollen. Daher teste doch einmal, dich früher zu Wort zu melden als üblich, beispielsweise im nächsten Meeting, beim Small Talk oder auch unter Freunden, wenn du normalerweise eher zuhörst als erzählst.

3 | Introvertierte sind arrogant

Ein Trugschluss! Ich möchte nicht ausschließen, dass es auch arrogante Intro gibt, doch oftmals erscheinen sie nur so. Wer sich sehr aufrecht hält und zugleich wenig am Gespräch beteiligt, wirkt auf Umstehende unbeabsichtigt kritisch und distanziert.

Womöglich hörst du nur konzentriert zu? Leider drückt ruhige Aufmerksamkeit leicht Distanz aus, während deine Gesprächspartner womöglich eifrig gestikulieren und behände Sprüche von einem zum nächsten werfen.

Anti-Arroganz-Training! Mach dich etwas lockerer und werde bewege dich mehr. Ein geneigter Kopf und Nicken signalisieren, dass du inhaltlich voll mitgehst. Auch ein Wechsel zwischen Stand- und Spielbein lockert deine Haltung auf.

4 | Introvertierte sind lahme Stubenhocker

Naja, da ist was dran und dennoch falsch. Introvertierte sind sich selbst oft genug und tanken am besten durch Eigenzeit auf. Sie brauchen ihre Rückzüge! Aber das schließt nicht aus, dass sie sich für vieles interessieren und auch gern unter Menschen sind. Lahm werden Intros dann, wenn sie zu lange über ihre Kraftreserven gehen.

Daher verteidigen wir unsere Freiräume, allein daheim oder mit engen Vertrauten. Wir brauchen Zeit, um unsere Gedanken zu sortieren. Aber wer ahnt schon, welche innere Welten sich uns erschließen, wenn wir nur so vor uns hin gucken … Langeweile kennen Intros kaum!

Zelebriere deine Freiräume! Wenn dein Alltag dich viel unter Menschen bringt, dann reserviere dir ausreichend L e e r – Raum in deinem Kalender. Sag Termine notfalls rigoros ab … und dann Tür zu: schmökern, pröddeln, Löcher in die Luft gucken … Erlaubt ist alles, was guttut.

5 | Introvertierte sind Bücherwürmer

Ja und Nein! Ich selbst lese liebend gern und lerne hervorragend autodidaktisch. Aber ich kenne auch ein paar Intros, die bevorzugt auditiv sind, Podcasts mögen und sich sogar Webseiten vorlesen lassen. Viele Intros eint, dass sie sich gern in ein Fachgebiet vertiefen und hohe Expertise aufbauen.

Dennoch hält sich das Vorurteil, alle Intros wären menschenscheu und verkröchen sich hinter Büchern. Aber selbst sachorientierte Intros kennt man sowohl als klugen Fachmann, der gern um Rat gefragt wird, bis hin zum Typus verschrobenen Professor oder Nerd.

Beziehungsorientierte Intros sind meist als einfühlsame Zuhörer und Berater beliebt – und für Freunde oder Teams herzensgute Kümmerer.

Mach dir die Welt, wie sie dir gefällt! Lesen eröffnet dir Zeit, dich zu erholen oder weiterzubilden? Wie wunderbar! Du vergisst dabei die Welt um dich herum? Wenn dein extrovertiertes Umfeld darüber muckert, dann signalisiere ihnen doch, wann du bereit bist aufzutauchen … und ihnen wieder Zeit widmen magst.

6 | Introvertierte mögen keinen Small Talk!

Wohl wahr für viele, aber … ich kenne mindestens eine Intro namentlich, der Small Talk riesig Spaß macht, vermutlich mehr. Und habe schon etliche Extrovertierte in Kursen erlebt, die ins gleiche Horn blasen und Small Talk eher meiden. Wir haben die Abneigung gegen das oberflächliche Plaudern also nicht gepachtet.

Small Talk nervt Intros, wenn er sich nur ums Wetter und absolute Nichtigkeiten dreht. Aber: Erstens will Small Talk Gutes, nämlich aufwärmen, Anteil nehmen und den Weg für tiefere Gespräche erst bahnen. Zweitens kann man Small Talk wie eine Fremdsprache begreifen, die sich Intros nicht zwangsläufig erschließt. Und das lässt sich lernen!


Mein Buch Small Talk für Introvertierte. Vom „bloß weg hier“ zur entspannten Unterhaltung ist als Ratgeber im humboldt-Verlag erschienen.


Verabschiede den Small-Talk-Muffel in dir! Du kannst deine Abneigung würdigen und dennoch Small Talk mögen lernen. Übernimm häufiger das Steuerrad und lenke Gespräche hin zu Themen, die dich ernsthaft interessieren. Das gelingt auch im seichteren Plauderton. Mein Buch zeigt, wie es geht!

PLUS: Eine unverrückbare Wahrheit

Endlich eine absolute Wahrheit … Jeder/jede ist einzigartig! Ob groß oder klein, dick oder dünn, still oder quasselnd, klug oder aufbrausend … wirklich niemand ist vergleichbar mit DIR!

Introversion und Extraversion lassen sich als Pole begreifen, die uns als Persönlichkeitsmerkmale vererbt werden und ein Leben lang prägen. Bei dem einen stärker, bei dem anderen schwächer ausgeprägt.

Dennoch lernen wir konstant dazu und können unser Verhalten ändern, je nach Umfeld, Erfahrung und Ermutigung. Viele Intros „extrovertieren“ (gern) und brillieren beruflich (auch mal) auf der Bühne. Meist suchen sie dann privat ein ruhigeres Umfeld.

Wider die Ammenmärchen!

Klischees wie der „Hans Dampf in allen Gassen“ oder der „menschenscheue Nerd“ prägen leider noch immer ein Zerrbild von Extraversion und Introversion. Doch mittlerweile steigt das Wissen um die Qualitäten stiller Denker und einfühlsamer Zuhörer, auch in unserer auf Aktion und Leistung orientierten Welt.

Ich hoffe, ich kann meinen Teil dazu beitragen!

Deine Silke

Übrigens: Die Visualisierung ist in einer nächtlichen Fotosession mit Handy, viel Kleinkram und meinen Gliederpuppen entstanden. Ich hatte riesig Spaß dabei und hoffe, dass auch du was davon hast.